Europas Vermittler: Keir Starmer ist Europas überraschender „Mann der Stunde“ – oder?

Der britische Premier Keir Starmer glaubt, eine diplomatische Brücke zwischen Europa und den USA schlagen zu können. Ist er Winston Churchill – oder am Ende ein zweiter Tony Blair?

Am Freitag sah es ein paar Stunden lang richtig gut aus für Großbritanniens Premierminister Keir Starmer. „Ein Triumph“ sei sein Besuch bei Donald Trump am Donnerstag gewesen, lautete das Urteil der britischen Medien, manche sprachen sogar von „Starmers bestem Moment“. 

Dabei hatte im Vorfeld keiner wirklich damit gerechnet, dass ausgerechnet der spröde Starmer es fertigbringen würde, den US-Präsidenten derart zu umgarnen. Doch der talentierte Anwalt hatte auf jene gehört, die Trump persönlich kannten. Man müsse ihm vor allem schmeicheln, hatten sie ihm geraten, und Starmer war dabei nichts zu peinlich: weder die Einladung des Königs zum Staatsbesuch an Trump, überreicht vor laufenden Kameras. Noch eine überschwängliche Danksagung an Trump, der es möglich mache, Frieden in der Ukraine zu schaffen. Oder dann ein Lobgesang auf die „Special Relationship“, die von jedem britischen Premier beschworene besondere Beziehung Großbritanniens zu den USA.

Die Illusion der britischen „Special Relationship“

Genau jene Beziehung, oder vielmehr die Illusion derselben, war es, die die Briten vor 22 Jahren auf George W. Bushs Geheiß in den fatalen Irak-Krieg geführt hatte. Auch damals war es ein Labour-Premier, Tony Blair, der sich bei einem US-Präsidenten angebiedert hatte. Ein unheilvolles Omen für Starmers Gespräch mit Trump. Dem jetzigen Premier Starmer, der damals mit hunderttausenden Briten gegen den Einmarsch in den Irak protestiert hatte, dürfte es nicht entgangen sein.

Dann, am Freitag, der Eklat in Washington. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, unterstützt seit dem Einmarsch russischer Truppen in sein Land vor drei Jahren von vier britischen Premierministern und im Königreich als Held begrüßt, wird von Trump und J. D. Vance vor laufenden Kameras abgekanzelt und beschuldigt, einen „Dritten Weltkrieg“ zu provozieren. Selenskyj saß, als er die Tirade von Trump und Vance ertragen musste, genau auf dem Platz, von dem aus einen Tag zuvor Keir Starmer dem Präsidenten gehuldigt hatte.

Keir Starmers Einladung in London wird zur Krisensitzung

Eigentlich sollte auf dem heutigen Treffen von 18 europäischen Staatschefs in Londons Lancaster House ein von Selenskyj und Trump in Washington unterzeichnetes Friedensabkommen vorgestellt werden. Nun steht Starmer mit leeren Händen da, und das Meeting dürfte zur Krisensitzung werden.

Mit seiner Charmeoffensive wollte Starmer vor allem Schönwetter machen im Vorfeld von Selenskyjs Besuch sowie eine Garantie erwirken, dass die USA eventuell in der Ukraine stationierte europäische Friedenstruppen im Fall eines russischen Angriffs schützen würden. Beides war ihm nicht gelungen.

Doch auf seiner Liste stand auch die Vermeidung möglicher Handelstarife für Großbritannien. Die Zeichen dafür schienen gut zu stehen; Trump, der Einfuhren aus der EU gerade mit hohen Tarifen belegt hatte, winkte am Donnerstag sogar mit einem möglichen Handelsabkommen für das Königreich, diesem heiligen Gral, dem die Briten seit ihrem Austritt aus der EU nachjagen, bislang erfolglos. 

Sollte ausgerechnet der Brexit-Gegner Starmer diesen ersten wirklichen Brexit-Vorteil über die Ziellinie bringen, es wäre eine Sensation.

Donald Trump weiß um Großbritanniens prekäre Situation seit dem Brexit

In Washington weiß man das. Dort weiß man auch, wie prekär die Situation der Insel seit dem Brexit ist. „Es gibt drei Elefanten im Raum“, so beschrieb ein britischer Berater im Vorfeld von Keir Starmers Besuch im Weißen Haus die britische Gratwanderung zwischen den globalen Wirtschaftsmächten USA, EU und China. „Wir müssen aufpassen, von keinem zertrampelt zu werden.“

Der Jurist Keir Starmer will den Glauben an Diplomatie und Rationalität noch nicht aufgeben. Er will noch festhalten an einer Welt, in der Gesetze und Abkommen gelten, eine Weltordnung, die seit dem zweiten Einzug von Donald Trump ins Weiße Haus endgültig der Vergangenheit angehört. Er versucht, die „Special Relationship“ zu retten, die schon lange keine mehr ist.

Starmer will, so erklärte er kürzlich, eine diplomatische Brücke zwischen Europa und einer US-Administration bauen, die die demokratischen Werte Europas – und vor allem die der EU – grundsätzlich ablehnt und aktiv zu zerstören versucht. 

Spätestens seit der Münchener Sicherheitskonferenz vor zwei Wochen und Vances verstörendem Auftritt dort mehren sich auch im Königreich die Stimmen derer, die Starmers Ansinnen für wohlmeinend, aber naiv halten. Die Frage sei doch, warum man heute noch eine Brücke bauen wolle, wenn auf der anderen Seite Erdbeben tobten, sagte gestern der Ex-Diplomat Lord Ricketts dem Sender LBC. 

„There is no such thing as a free lunch“ lautet ein englisches Sprichwort – ein Mittagessen, das wirklich kostenlos ist, gibt es nicht. Keir Starmer ist ein kluger Mann und realistisch genug zu wissen, dass Trumps Regierung auch mit ihm ein böses Spiel spielt. Er weiß, was der von Trump geforderte Preis für einen Handelsvertrag mit den Briten sein wird: die weitere politische Abkapselung des Königreichs von Europa. 

Zugleich ist Starmer einer der wenigen europäischen Politiker, die bei Trump wenigstens Gehör zu finden scheinen. Für Europa könnte nun ausgerechnet der Staatschef zur Vermittlerfigur werden, dessen Land der EU vor neun Jahren den Rücken gekehrt hatte. Allerdings muss sich Starmer zunächst entscheiden, wer in dieser neuen, gefährlichen Weltlage die wahren Verbündeten Großbritanniens sind. 

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