Vor dem Tag der Befreiung Deutschlands von der NS-Diktatur am 8. Mai 1945 hatten die Amerikaner das heutige Rheinland-Pfalz schon besetzt. Landtagspräsident Hering knüpft daran einen Appell.
Die Befreiung von der NS-Diktatur war in Rheinland-Pfalz früher als andernorts in Deutschland. Die Amerikaner hatten das Gebiet des 1946 gegründeten Bundeslands schon vor dem 8. Mai 1945 besetzt: Großlangenfeld im Eifelkreis Bitburg-Prüm war am 25. Januar der erste Ort. Katzwinkel im Westerwald am 2. April der letzte, sagt Landtagspräsident Hendrik Hering im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur in Mainz.
Er wünscht sich eine lebendigere Erinnerungskultur mit Gedenkorten an das Ende des Zweiten Weltkriegs und die Befreiung von der NS-Herrschaft, die sich in diesem Jahr zum 80. Mal jähren.
Hering wünscht sich lebendige Erinnerung an die Geschichte
Viele wüssten nicht, wie eigentlich ihr eigenes Heimatdorf befreit worden sei, sagt Hering. „Wurde es kampflos übergeben, oder nicht? Oft sind in den letzten Tagen des Krieges noch Menschen hingerichtet worden.“
Über Deutschland hinaus bekannt ist die Brücke von Remagen. Eine Vorhut der 9. US-Panzerdivision hatte sie am 7. März vor 80 Jahren unerwartet überquert. Weil die Brücke unzerstört und ohne Gegenwehr eingenommen werden konnte, ist auch vom „Wunder von Remagen“ die Rede.
Gedenkfeier an der Brücke von Remagen
Das Friedensmuseum Brücke von Remagen und die Stadt laden heute (14.00 Uhr) zu einer Gedenkfeier. Mit dabei sind Ministerpräsident Alexander Schweitzer (SPD), US-Generalkonsul Brian Heath, der französische Generalkonsul Nicolas Bergeret, die Enkelin von General Patton Helen Patton und der US-General Andrew Rohling von der Nato.
Hering wünscht sich mehr Gedenkorte wie das Friedensmuseum in Rheinland-Pfalz. „Wenn keine Zeitzeugen mehr da sind, die Orte sind da.“ Für Einwohner und zugewanderte Menschen sei es wichtig, sich konkret vor Ort klarzumachen, was vorgefallen ist. Nach dem Motto der Geschichtswerkstätten: „Grabe da, wo Du stehst!“ Viele Rheinland-Pfälzer wüssten nicht, dass die US-Streitkräfte 1945 vor den Franzosen ihre Heimat befreit hätten.
Das Rhine River Crossing Memorial in Nierstein – ein Monument am Rheinufer – ist für Hering ein positives Beispiel der Erinnerungskultur. Amerikanische Streitkräfte erreichten den rheinhessischen Weinort am 21. März 1945. Sie setzten leise mit Schlauchbooten in der Nacht über und bauten dann nach und nach mehrere Pontonbrücken. Tausende Fahrzeuge konnten so innerhalb weniger Tage den Rhein überqueren, sagte Hering.
Hering: Es gibt nur wenige Gedenkorte an das Kriegsende vor Ort
Kurz zuvor habe es im gegenüberliegenden rechtsrheinischen Kornsand noch ein nationalsozialistisches Verbrechen gegeben: Am 21. März seien sechs Menschen aus Nierstein und dem benachbarten Oppenheim – die für ihre kritische Haltung gegenüber der NSDAP bekannt waren, ermordet worden. Ein Gedenkstein auf dem Kornsand im hessischen Trebur erinnert seit 1954 daran.
Viele Städte und Dörfer im ländlich strukturierten Rheinland-Pfalz seien – oftmals gegen die Anweisungen der nationalsozialistischen Führung – kampflos übergeben worden, berichtet der Landtagspräsident. Symbolisch dafür seien weiße Fahnen, oft aus Bettlaken, gewesen, die von Deutschen beim Einmarsch der amerikanischen Truppen gehisst wurden. Immer wieder hätten auch Bewohner mit den Amerikanern Kontakt aufgenommen, über die friedliche Übergabe des Orts verhandelt und so viele Leben auf beiden Seiten gerettet.
Wenn es keine Zeitzeugen mehr gibt, können Orte sprechen
In Lahnstein hätten drei Männer am 21. März in einem Holzkahn den Rhein überquert, um den Amerikanern die Kapitulation der Stadt anzubieten. Der deutsche Ortskommandant habe die Übergabe Lahnsteins aber weiter abgelehnt, am 27. März sei es von den Amerikanern besetzt worden.
Der Ingelheimer Volkssturmführer habe entgegen anderslautender Befehle am Morgen des 17. März die Bevölkerung aufgerufen, besonnen zu agieren und keinen Widerstand zu leisten, wie Hering berichtet. Daraufhin sei er am selben Tag verhaftet und am nächsten Morgen auf dem Marktplatz an einem Baum gehängt worden. „So stirbt jeder, der sein Vaterland verrät!“ habe auf einem um seinen Hals gehängten Schild gestanden. Zwei Tage später seien amerikanische Truppen weitgehend kampflos in Ingelheim einmarschiert.
Es gibt auch noch immer Forschungsbedarf
Am Beispiel von Hamm/Sieg (Kreis Altenkirchen) lasse sich zeigen, wie der Einsatz von Bürgern bei Kriegsende die Zerstörung des Ortes verhindert haben soll, so Hering. Allerdings gebe es dafür nur eine Quelle, weitere Forschungen seien notwendig. Danach sollen ein Fabrikant, der Bürgermeister und ein Metzger die Streitkräfte am 27. März gebeten haben, Hamm zu besetzen, da im Ort keine Soldaten mehr gewesen seien, die hätten Widerstand leisten können.
Die US-Streitkräfte hielten sich aber nur wenige Wochen und Monate auf dem Gebiet des im August 1946 gegründeten Rheinland-Pfalz auf. Denn mit dem Inkrafttreten der Beschlüsse der Konferenz von Jalta am 5. Juni 1945 entstanden die vier Besatzungszonen – und Rheinland-Pfalz wurde Teil der französischen.