Wer in der Probezeit merkt, dass der neue Job doch nicht passt, kann noch einen finalen Rettungsversuch unternehmen. Coach Jürgen Walter erklärt, wie Beschäftigte am besten vorgehen.
Durchbeißen oder lieber ein Ende mit Schrecken? Diese Frage stellt sich für viele Menschen, nachdem sie voller Elan eine neue Stelle angetreten haben. Denn häufig entpuppt sich der Job als ziemliche Enttäuschung. Zumindest scheint es so am Anfang. Da liegt die Versuchung nah, rasch wieder zu kündigen – schließlich ist das in der Probezeit besonders einfach und die Bewerbungsunterlagen sind noch aktuell. Doch kann darunter die Karriere leiden? Coach Jürgen Walter warnt: Wenn ein Beschäftigter bereits in der Probezeit kündigt, hat das „auf jeden Fall, ein ‚Geschmäckle'“.
Beim nächsten Arbeitgeber entsteht laut Walter dadurch womöglich der Eindruck: Hier ist jemand sofort auf dem Absprung, wenn ein anderer Job mit besserer Bezahlung winkt. „Das wäre keine gute Basis für ein vertrauensvolles Zusammenarbeiten“, gibt der Diplom-Psychologe zu bedenken. Er empfiehlt deshalb, nach Möglichkeit die Probezeit abzuwarten, um sich richtig auf das Unternehmen und die neuen Kollegen einzulassen – auch, wenn die Kündigung anschließend begründet werden muss.
Kündigen in der Probezeit?
Nicht selten ist die Enttäuschung laut dem Unternehmensberater quasi hausgemacht – dann nämlich, wenn sich der Bewerber vorab nicht intensiv genug mit dem neuen Arbeitgeber und seinen Aufgaben dort auseinandergesetzt hat. Das kann jeden treffen, insbesondere aber Berufsanfänger. Walter warnt hier vor dem „Praxisschock“. „Man kennt die betrieblichen Abläufe, die Schnittstellen und die unterschiedlichen Charaktere nicht und glaubt ‚Wenn ich hier was zu sagen hätte, würde hier alles besser laufen'“, beschreibt der Psychologe diese gewisse Überheblichkeit von Neueinsteigern.
Ein neuer Mitarbeiter kann daher schnell im Überschwang des persönlichen Neubeginns forsch auftreten und dadurch unbewusst im Team eine Abwehrreaktion auslösen, die wiederum die eigene Stimmung trübt. Auch wer insgeheim gehofft hat, von den neuen Kollegen betont herzlich empfangen zu werden, wird nicht selten enttäuscht. Walter empfiehlt deshalb, das neue Karrierekapitel betont selbstwirksam zu beginnen.
Dazu gehört es für den Psychologen, sich nicht nur passiv einarbeiten zu lassen, sondern Interesse zu demonstrieren und Wissen einzufordern. „Ich darf als Neuling viel fragen ,Warum wird etwas so gemacht und nicht anders?'“, empfiehlt Walter. Auch ein Dank an Vorgesetzte und Kollegen für die Hilfe am Anfang könne sich auszahlen. Denn ohne diese Einarbeitung sei ein Scheitern im neuen Job programmiert, warnt der Unternehmensberater.
Außerdem setzen sich viele neue Kollegen selbst unter einen zu großen Erfolgsdruck. Genaugenommen könne ein neuer Beschäftigter erst nach circa sechs Monaten Einarbeitungszeit wirklich produktiv sein, gibt Walter Entwarnung.
Wer neu in einen Betrieb kommt, fühlt sich trotz aller Berufserfahrung aber oft erst ein Stück weit ausgeliefert. Wichtig ist es laut Walter deshalb, sich bewusst zu machen „Ich bin nicht hilflos“. Denn es stünden diese Optionen offen:
Love it: Ich entscheide mich dazu, die Bedingungen zu akzeptieren; ich kann sie sowieso nicht ändern. Change it: Ich suche das offene Gespräch mit Entscheidern, um die Situation in meinem Sinne positiv zu verändern. Leave it: Ich verlasse die Abteilung oder den Betrieb, da der Leidensdruck für mich zu hoch ist.
Wann sollte man kündigen
Trotzdem kann es natürlich gute Gründe geben, bereits während der Probezeit über eine Kündigung nachzudenken. Dringender Gesprächsbedarf besteht laut Walter vor allem bei
ausbleibenden Lohnauszahlungen massiver Gefährdung der Sicherheit des Arbeitnehmers Mobbing und sexueller Belästigung
In so einem Fall könne unter Umständen auch eine fristlose Kündigung berechtigt und ratsam sein, sagt der Unternehmensberater.
Weniger drastische, dennoch aber gute Gründe für eine schnelle Kündigung sind laut Walter unter Umständen, wenn
Arbeitsaufgaben anders ausfallen als abgesprochen es zwischenmenschlich nicht läuftder Arbeitnehmer sich dem Job nicht gewachsen fühlt oder die Anforderungen zu hoch sind
Walter empfiehlt: „Komme ich mit meinen Kollegen oder meinem Chef nicht klar, sollte ich reflektieren, was mein Anteil an der Missstimmung ist und welche Möglichkeit ich habe, die Beziehungen zu verbessern.“ Ein offenes, wertschätzendes Gespräch könne da die Wende bringen und die Probezeit noch retten.
Insbesondere Berufseinsteiger warnt der Coach vor einer raschen, impulsiven Kündigung. „Denn wenn der nächste Job nach wenigen Monaten zum Beispiel wegen Insolvenz scheitert und beim dritten Versuch einen der Chef nicht mag und herausmobbt, steht man plötzlich mit drei Kurzzeitarbeitsverhältnissen da“, warnt Walter. So ein Bewerber sei auf dem Arbeitsmarkt fast schon „verbrannt“. Denn welcher Betrieb wolle den vierten Versuch wagen? Der Coach rät Berufsanfängern auch hier: Sich trotz anfänglicher Zweifel auf das neue Unternehmen einlassen und erst mal zwei Jahre Erfahrung sammeln.