Millionen Menschen sind zum Teil drastisch durch Alkohol und Rauchen beeinträchtigt, zeigt das „Jahrbuch Sucht 2025“. Preise für Alkohol müssten hoch, lautet eine Forderung. Lässt die Jugend hoffen?
Mehrere Millionen Menschen in Deutschland sind einer Studie zufolge suchtkrank und Tausende sterben jedes Jahr an den Folgen von Alkoholkonsum und Rauchen. Nach den neusten verfügbaren Zahlen sei von aktuell rund 99.000 Todesfällen im Jahr durch Rauchen und etwa 47.500 Toten durch Alkoholkonsum auszugehen. Das berichtet die Geschäftsführerin der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS), Christina Rummel, zur Veröffentlichung des „DHS Jahrbuch Sucht 2025“.
Mindestens ein Fünftel der Bevölkerung trinkt zu viel Alkohol
„Deutschland hat ein Alkoholproblem“, sagt Suchtforscher Jakob Manthey der Deutschen Presse-Agentur. Es sei anzunehmen, dass mehr als ein Fünftel der Bevölkerung Alkohol in riskantem bis suchtkrankem Ausmaß zu sich nehme. Bei etwa neun Prozent der Bevölkerung im Alter zwischen 18 und 64 Jahren liege dabei Missbrauch oder Abhängigkeit von Alkohol vor. Die große Altersgruppe ab 65 Jahren aufwärts sei noch gar nicht eingerechnet, auch die Jüngeren unter 18 nicht.
Alkohol ist eine toxische Substanz
„Alkohol ein Zellgift und die Kernfrage ist: Wie gehen wir mit dieser toxischen Substanz um“, beschreibt der Wissenschaftler, Mitautor des Jahrbuchs. „Am besten ist Abstinenz, aber auch jede Reduktion hilft. Es macht einen Unterschied, ob ich drei Bier trinke oder zwei.“ Nicht gut: Alkohol könne in Deutschland mit wenigen Ausnahmen fast uneingeschränkt beworben werden.
Der Experte aus Hamburg geht für die vergangenen Jahre relativ konstant von geschätzt gut 45.000 Todesfällen infolge von Alkoholkonsum aus. Chronisches Trinken erhöhe die Risiken für zahlreiche Erkrankungen – darunter bestimmte Krebsarten, Herzprobleme und Leberzirrhose. Hinzu kommen Unfälle infolge von Alkohol am Steuer oder auch Gewaltdelikte unter Rausch.
„Preise für O-Saft steigen, für Wodka nicht“
In Deutschland seien die Preise für alkoholische Getränke in den letzten 20 Jahren deutlich weniger stark gestiegen als für Nahrungsmittel, schildert Manthey. Als jüngeres Beispiel ergänzt Rummel: „Der Orangensaft wird schon wieder teuer, der Preis für die Flasche Wodka bleibt stabil.“ Alkohol sei in keinem anderen europäischen Land so erschwinglich wie in Deutschland.
Die DHS sieht hier fatale Folgen: Neben der hohen Zahl von Erkrankungen und Sterbefällen verursache Alkohol auch ökonomische Folgekosten von rund 57 Milliarden Euro jährlich. Und viel Leid für das soziale Umfeld der Betroffenen. Es gebe wirksame Gegenmaßnahmen, die aber nicht angepackt würden, moniert Rummel. Neben verstärkter Prävention und Investitionen in die Suchthilfe sollten alkoholische Getränke über die Verbrauchsteuer teurer werden.
Schon ein kleineres Preis-Plus könnte größere Auswirkungen haben
Deutschland sei bei den Alkohol-Verbrauchsteuern „so schlecht wie kaum ein anderes Land weltweit“, kritisiert Wissenschaftler Manthey. An dieser „sehr effektiven Stellschraube“ sei seit Jahrzehnten nicht gedreht worden. Die Bierpreise seien zu niedrig, auf Wein werde überhaupt keine Verbrauchsteuer erhoben. Der Staat lasse sich damit auch Steuern in Milliardenhöhe entgehen.
Würden alkoholische Getränke im Durchschnitt im Verkauf um fünf Prozent teurer, werde der Pro-Kopf-Konsum um 2,2 Prozent sinken und es ließen sich 850 alkoholbedingte Todesfälle im Jahr vermeiden, rechnet der Suchtforscher als Modell vor. Der Staat würde zusätzliche 1,4 Milliarden Euro Steuern einnehmen.
Auch das Rauchen sieht der Suchtbericht mit Sorge
Mehr als 30 Prozent der erwachsenen Bevölkerung rauchten laut Bericht im vergangenen Jahr. Bei Jugendlichen unter 18 Jahren ist dieser Anteil deutlich geringer, bei jungen Erwachsenen etwas geringer. „Die Zahlen sind insgesamt zu hoch, das wird zu wenig thematisiert“, sagt die Geschäftsführerin der DHS. Beim Tabakkonsum seien volkswirtschaftliche Folgekosten von 97 Milliarden Euro pro Jahr anzunehmen.
Herkömmliche Zigaretten seien eher „old school“ für junge Leute, beobachtet Rummel. „Was uns Sorgen macht, sind verwandte Nikotinprodukte wie E-Zigaretten und Tabakerhitzer.“ Auch wenn diese 2024 „nur“ von zusammen 3,2 Prozent der Personen ab einem Alter von 14 Jahren genutzt wurden.
Problem Sucht und Drogen ganz oben auf die politische Agenda
Etwa acht Millionen Mensch in Deutschland sind laut DHS suchtkrank. Zum Bereich illegaler Drogen heißt es im „Jahrbuch 2025“ unter anderem: „Vielerorts wird in Städten und Kommunen derzeit beobachtet, dass Crack und stark wirksame synthetische Opioide wie Fentanyl in den örtlichen Drogenszenen auftauchen.“ Fentanyl wirkt um ein Vielfaches stärker als Heroin.
„Sucht- und Drogenthemen müssen auf einer gesundheitspolitischen Dringlichkeitsskala ganz oben stehen“, verlangt die DHS in Hamm. Die neue Bundesregierung sei aufgefordert, die enormen Herausforderungen energisch anzugehen. Der Koalitionsvertrag von Union und SPD sei „angesichts der Dramatik des Problems definitiv ausbaufähig“, meint Rummel.
Experte Manthey schaut beim Thema Alkohol mit einigem Optimismus auf die Jugend: „Hoffnung habe ich mit Blick auf die jetzige junge Generation, die deutlich weniger trinkt als die Älteren. Da könnte sich ein gesellschaftlicher Wandel ergeben.“