Kirchenoberhaupt: Auf ihn beruft sich der neue Pontifex: Wer war der „Arbeiterpapst“ Leo XIII.?

Als Leo XIV. hat der neue Papst sein Amt angetreten. Sein namentlicher Vorgänger lebte vor mehr als einem Jahrhundert und schrieb Geschichte – in vielfacher Hinsicht.

Es war kurz nach 18 Uhr am Donnerstag, als weißer Rauch aus dem Schornstein der Sixtinischen Kapelle aufstieg. Habemus Papam! Ein neuer Papst war gewählt. Tausende Gläubige auf dem Petersplatz fielen sich jubelnd in die Arme. Etwa eine Stunde später zeigte sich dann der neue Pontifex – der US-Amerikaner Robert Francis Prevost – der Welt auf dem Balkon des Petersdoms, angekündigt mit seinem selbst gewählten päpstlichen Namen: Leo XIV.

Es ist ein Name, den wohl nicht viele erwartet hätten, der aber auf den zweiten Blick durchaus nachvollziehbar erscheint. Denn Prevost bezieht sich damit auf seinen namentlichen Vorgänger Leo XIII., der vor mehr als einem Jahrhundert lebte und zu dem es mehr als nur eine Parallele gibt. 

Leo XIII.: hochbegabtes Kind mit steiler Karriere in der katholischen Kirche

Leo XIII. wurde als Vincenzo Gioacchino Pecci 1810 im von Frankreich besetzten Rom geboren. Seine Familie gehörte dem niedrigen Landadel an, mehrere Familienmitglieder standen bereits im Dienst der Kirche. Der junge Pecci gilt früh als hochbegabt, geht am Jesuitenkolleg im mittelitalienischen Viterbo zur Schule, studiert anschließend Theologie am renommierten Collegium Romanum in Rom und absolviert eine Ausbildung für den päpstlichen Verwaltungs- und Diplomatendienst. Danach legt er eine steile Karriere hin: 1835 promoviert er zum Doktor beider Rechte – dem Abschluss staatlicher und kirchlicher Rechtswissenschaften. Nur zwei Jahre später wird ihm die Priesterweihe verliehen.

Doch Pecci ist wohl ein unbequemer Zeitgenosse. 1843 wird er vom amtierenden Papst Gregor XVI. zum Erzbischof ernannt und als Nuntius nach Belgien entsandt, wo er nach wenigen Monaten auf Wunsch des Königs wieder abberufen wird. Sein Werdegang führt ihn 1846 nach Perugia, wo er einige Jahre als Bischof residiert. 1853 – mit nur 43 Jahren – wird er von Papst Pius IX. zum Kardinal ernannt.

Vom konservativen Hardliner zum progressiven Revolutionär

Zu dieser Zeit beginnt sich seine Weltanschauung zu verändern. Anfangs präsentiert sich Pecci als Hardliner. Er vertritt eine erzkonservative und wissenschaftsfeindliche Linie. Damit nachfolgende Generationen es ihm gleichtun, setzt er sich für eine Reform des Theologiestudiums ein, das Traditionen und konservative Werte stärken soll. Er wird Anführer von Bischöfen, die sich gegen das progressivere italienische Staatskirchentum positionieren. Die römisch-katholische Kirche steht für ihn im Mittelpunkt der Weltgeschichte.

Doch innerhalb mehrerer Jahre wird aus dem erzkonservativen Pecci ein – verhältnismäßig – progressiver Revolutionär: Er öffnet sich für moderne Kultur und Technik, wird so etwas wie der Anführer der gemäßigten Vertreter des Vatikans. Mitten in dieser Entwicklung stirbt Papst Pius IX. Pecci führt als Kardinal die Geschäfte während der Sedisvakanz und wird anschließend nach einem zweitägigen Konklave zum neuen Papst gewählt.

Es soll ein Pontifikat voller Veränderungen werden: Mit seiner Namenswahl zeigt er seine Verehrung für Papst Leo XII., der knapp 50 Jahre vor ihm lebte, und in dessen Tradition er sich sieht. Sein größtes Projekt soll das werden, was Leo XII. nie vollenden konnte: Das Papsttum soll eine neue Position auf der Weltbühne erhalten. Und auch wenn die Zeiten vollkommen verschieden sind, beide Päpste sehen die Kirche dabei in mittelalterlicher Tradition als oberste Instanz – noch über der Souveränität der Staaten. Frei nach dem Motto: Was kümmert es einen Papst, wer unter ihm Kaiser oder König ist?

Doch Leo XIII. muss schnell einsehen, dass diese veraltete Sichtweise in starkem Konflikt zu der modernen Gesellschaft steht. Vor allem, weil die Bedeutung des Vatikans massiv gesunken ist. 1870, also acht Jahre vor seinem Amtsantritt, verlor der Kirchenstaat sein Territorium an das Königreich Italien. Lediglich eine Art Aufenthaltsrecht blieb für Kirchenbedienstete im Vatikan. Der Pontifex ist ein König ohne Königreich.

Der Papst positioniert den Vatikan als überparteiliche Instanz

Also macht Leo XIII. aus dieser Not eine Tugend: Wenn die Kirche schon nicht über alle herrschen kann, dann sollte sich der Vatikan als Instanz etablieren, die Parallele zu König- und Kaiserreichen existiert, mit dem Papst in einer Vermittlerrolle, unabhängig und überparteilich. 

Diese Positionierung gilt als die Geburt des modernen Papsttums – und hat sich bis heute nicht geändert. Doch der Papst hat offensichtlich zunächst seine Probleme mit der neuen Rolle. Insbesondere mit dem italienischen Staat kommt er mehrmals in Konflikt, etwa, weil er Katholiken verbietet, in demokratischen Parlamenten mitzuwirken.

Letztlich ist es sein Ruf nach Frieden und sozialer Gerechtigkeit, der Leo XIII. in eine immer progressivere Richtung rückt. Auf seine Enzyklika – ein offener Brief – mit dem Titel „Rerum Novarum“ (Geist der Erneuerung) beruft sich der Vatikan bis heute. Darin prangert der Papst die Ausbeutung von Arbeitern in der industriellen Revolution und ihre Verelendung an. Die Schrift gilt bis heute als wichtiger Wegweiser in Bezug auf Menschen- und Arbeitnehmerrechte. Arbeitsschutz, so der Papst, sei staatliche Aufgabe. Der Brief ist die Geburtsstunde der kirchlichen Soziallehre. Insbesondere in Deutschland beeinflusst die Enzyklika bis heute maßgeblich den Gedanken der Sozialpolitik. Papst Leo XIII. bringt sie den Ruf des „Arbeiterpapstes“ ein.

Neben seinem sozialen Engagement vermittelt Leo XIII. bei Aufständen und Konflikten. In einer weiteren Enzyklika erkennt er 1892 die dritte Französische Republik an und überlässt französischen Katholiken die Wahl, welche Staatsform sie unterstützen wollen. Grund dafür sei, dass unabhängig vom politischen System allein die Religion zum Frieden einer Nation führen könne. Auch dieser Brief gilt als wegweisend für die Entwicklung der Demokratien in Europa.

Der erste Medien-Pontifex

Über Jahre schafft es Leo XIII., in die Politik verschiedener Länder einzuwirken. Dieser progressive Ansatz wird auch dadurch deutlich, dass er als erster Papst die Dynamiken von Medien verinnerlicht. Bei für ihn entscheidenden Themen verschickt er immer wieder Enzykliken. Darin kritisiert er etwa die Freimaurerei, verdammt die Sklaverei in den Missionsgebieten oder spricht sich für die Natur der menschlichen Freiheit aus. Wenn der Papst schreibt, liest die Welt seine Briefe.

Doch der Pontifex erkennt auch die Wirkung der neu aufkommenden Massenmedien. In den 1880er- und 1890er-Jahren ist er nicht nur der erste Papst, dessen Stimme aufgezeichnet wird. Er ist auch der erste Pontifex – und der bis dato älteste Mensch überhaupt – von dem Filmaufnahmen gemacht werden. Ebenso soll er als erstes Kirchenoberhaupt in der Geschichte ein Zeitungsinterview gegeben haben. Leo XIII Filmaufnahme

Und selbst mit seinem Tod geht Leo XIII. noch in die Geschichte ein, in doppelter Hinsicht: Er ist der Papst mit der drittlängsten Regentschaft (1878 bis 1903), und als er stirbt, ist er mit 93 Jahren der älteste Pontifex aller Zeiten. Lediglich der deutsche Papst Benedikt XVI. wird noch älter, legt aber bereits mit 86 Jahren sein Amt nieder. 

Der neu gewählte Papst Leo XIV. tritt also in große Fußstapfen. Schon während seiner ersten Rede wurde deutlich, dass er sich in der Tradition seines direkten Vorgängers Franziskus und von Leo XIII. sieht. Völkerverständigung, Frieden, Brückenbauen – der Pontifex wird bei der aktuellen Weltlage viel zu tun haben.

Quellen:Katholisch.de, Vatican.ca, „Focus“, „Spiegel“

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