Musik: Mensch oder Maschine? Verwirrung um KI-Band auf Spotify

Die Songs einer bis vor kurzem völlig unbekannten Band klingen nach herkömmlichem Indie-Rock. Das Problem: Sie sollen nicht von menschlichen Urhebern stammen. Und damit gehen die Diskussionen los.

Drei veröffentlichte Alben mit jeweils 13 Liedern innerhalb von nur anderthalb Monaten: Die Band The Velvet Sundown produziert gerade eine mehr oder weniger seichte Indie-Ballade nach der anderen. Wie sie das auf die Schnelle hinbekommt? Ganz einfach: Nicht Menschen sollen ihre Songs schreiben – sondern allem Anschein nach eine künstliche Intelligenz.

„Nicht ganz Mensch. Nicht ganz Maschine. The Velvet Sundown lebt irgendwo dazwischen“: So wird die mutmaßliche KI-Band auf ihren offiziellen Accounts in den sozialen Medien und auf der Streaming-Plattform Spotify beschrieben. Wer dahintersteckt? Das lässt sich nicht klar festmachen. 

Die vier vermeintlichen Bandmitglieder sind öffentlich nie in Erscheinung getreten, Bilder der Gruppe wurden ganz offensichtlich von einer KI erstellt. Erst Anfang Juni tauchte erste Musik der Band auf diversen Streaming-Plattformen auf. Die meisten der Songs mit ihren Rock-, Country- und Folk-Elementen sind relativ austauschbar, weder großartig noch abgrundtief schlecht – und dennoch hat es die Gruppe in wenigen Wochen geschafft, Verwirrung und sogar Sorgen um nichts Geringeres als die Zukunft der Musikbranche auszulösen.

Die Grenzen verschwimmen

„The Velvet Sundown ist ein synthetisches Musikprojekt, das von menschlicher kreativer Führung geleitet und mit Unterstützung künstlicher Intelligenz komponiert, vertont und visualisiert wird“, heißt es auf den besagten Social-Media-Konten. Bei allem, darunter Musik, Stimmen und Texte, handle es sich um Originalkreationen, die mit Hilfe von KI-Werkzeugen erstellt worden seien. Von einer „künstlichen Provokation“ ist die Rede, die „die Grenzen von Urheberschaft, Identität und der Zukunft der Musik im Zeitalter der KI“ hinterfragen solle.

Diese Provokation scheint fürs Erste geglückt zu sein: Rund 1,4 Millionen monatliche Hörer hat Velvet Sundown derzeit auf Spotify, allein die Single „Dust on the Wind“ wurde dort bislang fast zwei Millionen Mal angehört. Und nicht nur das: Das Phänomen hat unter anderem auch zu einer Debatte darüber geführt, dass der schwedische Branchenprimus die Musik der Band – anders als etwa Streaming-Rivale Deezer – bislang nicht explizit als KI-generiert kennzeichnet. 

Spotify: Bislang kein branchenweiter Standard zum KI-Einsatz

Spotify zufolge gibt es bislang noch keinen branchenweiten Metadaten-Standard dazu, wie der Einsatz von künstlicher Intelligenz offengelegt werden muss. „Sobald ein einheitlicher Ansatz vorliegt, werden wir sorgfältig prüfen, wie wir ihn umsetzen können“, teilte der Konzern auf Anfrage mit. Bei jedem angelieferten Track seien Streaming-Dienste letztlich auf die Rechteinhaber angewiesen, um die erforderlichen Informationen zur Identifikation der Komposition und der Mitwirkenden zu erhalten.

Manche Social-Media-Nutzer gehen derweil bereits gegen Velvet Sundown auf die Barrikaden. „Tod der KI-Musik“, ist noch eine der zivilisierteren Reaktionen auf die Band.

Auch hinter der Maschine stecken (bislang) Menschen

Dabei ist klar, dass auch hinter der Maschine ein Mensch stecken muss. „Die KI wacht morgens nicht einfach auf und entscheidet, Musik auf Spotify zu stellen“, sagt Virginia Dignum, die Professorin für verantwortungsvolle künstliche Intelligenz an der Universität im schwedischen Umeå ist. „Es sind also Menschen daran beteiligt, und es gibt Leute, die damit Gewinne machen, auch wenn es nur um Marketing oder Aufmerksamkeit gehen sollte.“

Ein Problem dabei ist, dass die KI ihr musikalisches Wissen aus Liedern und Songtexten echter Urheber speist. „Die Daten, auf denen all diese Musik basiert, sind ursprünglich von Menschen generiert“, sagt Dignum. Die Behauptung, KI erzeuge Musik, Texte oder Bilder, sei daher etwas irreführend, denn die zugrundeliegenden Daten kämen letztlich von menschlichen Urhebern. „Und das meiste davon wurde kopiert und gestohlen, ohne Rücksicht auf Urheberrechte oder die Autorschaft der Beteiligten“, sagt Dignum.

Auswirkungen von KI auf Künstler

Auf lange Sicht betrachtet könnte all das zu einem großen Problem für Songwriter und Urheber generell werden: Wie die schwedische Zeitung „Dagens ETC“ jüngst unter Berufung auf einen Bericht der internationalen Urheber-Dachvereinigung CISAC berichtete, könnte KI-Musik echten Musikern in den kommenden vier Jahren Einkommensverluste in Höhe von bis zu zehn Milliarden Euro bescheren.

Unter anderem daher rührt auch die Forderung an Spotify, die Musik aus der Feder einer KI klar als solche zu benennen. „Jede Information sollte mit der korrekten Urheberschaft gekennzeichnet sein. Und wenn diese Urheberschaft durch KI unterstützt wurde, dann ist es wichtig, dass dies bekannt ist“, sagt auch Dignum.

Wie andere KI-Experten macht die Professorin darauf aufmerksam, dass eine starke Regulierung ein zentraler Teil beim Umgang mit KI sein muss. Zugleich müssten die Menschen aber auch stärker darin geschult werden, mit ihr umzugehen. Die richtigen Regeln aufzustellen sei so, wie zu sagen, dass ein Auto Bremsen haben müsse – man müsse aber auch einen Führerschein haben, um zu verstehen, wie man diese Bremsen einsetze.

Was bleibt für den Hörer?

Für Streaming-Nutzer geht es letztlich darum, zwischen menschlich und maschinell produzierter Musik besser unterscheiden zu können. Wie das Beispiel Velvet Sundown zeigt, verschwimmen die Grenzen dabei immer mehr. Für die Musikindustrie könnte das große Folgen haben – frei nach den Buggles, die schon vor 46 Jahren in „Video Killed The Radio Star“ sangen: „They took the credit for your second symphony, rewritten by machine and new technology.“ Übersetzen lässt sich das in etwa so: „Sie haben den Ruhm für deine zweite Symphonie eingeheimst, die von Maschinen und neuer Technologie neu geschrieben wurde.“

Kann – um im Bild des Songs zu bleiben – KI also das Ende des Streaming-Stars bedeuten? Das vermutlich nicht. Zumindest jedoch kann sie vielen Musikern Konkurrenz um Einnahmen machen, auf die gerade kleinere Künstler stark angewiesen sind.

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