Mario Adorf wird 95: Neue Rollen müssen nicht mehr sein

Er ist ein Jahrhundert-Schauspieler, ein Weltstar – auch wenn er das nicht gerne hört. Am 8. September wird Mario Adorf 95 Jahre alt.

Nach großem Bahnhof ist ihm nicht zumute. Nicht nach Sonntagsreden, nicht nach Feuerwehr- oder Schützenblaskapellen, wie sie nun mal an großen, runden Geburtstagen von großen Leuten wie ihn aufzumarschieren pflegen. Mario Adorf (95) will allein sein, wie er „Hörzu“ verriet – allein mit seiner Frau Monique und ein paar lieben Gästen am Abend, vielleicht acht, höchstens zehn.

Doch so präzise steuern lässt sich das nicht, wenn man eine Berühmtheit ist und einen großen Geburtstag hat, den nur wenige erleben. Mario Adorf ist bei Lebzeiten eine Legende. Da lassen sich die großen Sträuße, die einem landauf, landab geflochten werden, kaum vermeiden. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (69) übermittelte bereits vorab seine Glückwünsche: „Sie haben uns Zuschauer und Zuhörer zum Staunen gebracht, zum Lachen, zum Nachdenken – und manchmal auch zum Weinen. Sie haben uns gezeigt, wie stark, empfindsam und menschlich Schauspielkunst sein kann.“

Seine familiären Wurzeln

Der große Charakterdarsteller hat alle schauspielerischen Möglichkeiten drauf, von der großen Geste bis zum Augenzwinkern. Ein Weltbürger, der in Frankreich und Deutschland lebt, doch als seine Heimat ein kleines Eifelstädtchen nennt. Eigentlich ist er ja Schweizer, denn geboren wurde er 1930 in Zürich, seine Herkunft geht auf Caspar Adorf zurück, den deutschen Großvater. Dieser war Sattlermeister im Eifelstädtchen Mayen und wanderte gegen Ende des 19. Jahrhunderts in die Schweiz aus. Er heiratete eine Elsässerin und hatte mit ihr vier Kinder.

Seine Tochter Alice Adorf arbeitete als Röntgenassistentin in Süditalien und kehrte 1930 – schwanger mit Mario – aus Kalabrien nach Zürich zurück. Vater war der Arzt Matteo Menniti, der aber bereits verheiratet war. Das Kind kam also unehelich auf die Welt. Noch im gleichen Jahr wurde Alice Adorf mit ihrem Sohn Mario als „unerwünschte Ausländerin“ nach Deutschland abgeschoben. Sie ging zurück nach Mayen.

Die Kleinstadt hat ihn geprägt, denn Kindheit und Jugend waren hart. Die Mutter rackerte sich als Schneiderin ab, das Geld war so knapp, dass sie ihr Kind zeitweise ins Waisenhaus geben musste, damit es was zu essen hatte. Er hat trotzdem seinen Weg gemacht. Abitur, studium generale an der Uni Mainz (Philosophie, Psychologie, Kriminologie, Literatur, Musikgeschichte, Theaterwissenschaft), später in Zürich.

Von Mayen aus ist er losgezogen, hat die Welt erobert. Über 200 Filme in über 60 Jahren, eine Berühmtheit in Italien, Frankreich, England, in Deutschland, Österreich und der Schweiz sowieso. Ein Jahrhundert-Schauspieler. Das hört er nicht besonders gern. Und „Weltstar“ gleich gar nicht. „Ich empfinde mich nicht als Weltstar. Weltstars kommen einzig und allein aus Hollywood„, sagte er einmal dem „Kölner Stadtanzeiger“. „Aber ich habe mich nicht in Hollywood etablieren können. Selbst bekannteste europäische Schauspieler wie Marcello Mastroianni oder Gérard Depardieu wurden keine Weltstars.“

Sein Aussehen brachte ihn nach Hollywood

1964 hatte Hollywood gerufen. Regisseur Sam Peckinpah brauchte für seinen Western „Major Dundee“ mit Stars wie Charlton Heston und Senta Berger noch einen, der aussieht wie ein Mexikaner. Der Film war nicht besonders erfolgreich. Trotzdem schlug man ihm vor, „in Amerika zu bleiben und dort weiterhin Mexikaner zu spielen“, verriet er dem „Spiegel“. „In Deutschland und Italien hatte ich aber viel schönere Angebote.“

Er hat Gebrauchskino gemacht, vornehmlich in der Rolle des Bösewichts und große Filme wie „Deadlock“ (1970), „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ (1975), „Bomber & Paganini“ (1976).

Er drehte mit Claudia Cardinale und Sean Connery („Das rote Zelt“, 1969), mit Alec Guinness („Smileys Leute – Agent in eigener Sache“, 1982) oder mit Michael Caine („Der 4 1/2 Billionen Vertrag“, 1985). Und mit der deutschen Produktion „Die Blechtrommel“ (1979) kehrte er sogar triumphal nach Hollywood zurück, wo die Grass-Verfilmung von Regisseur Volker Schlöndorff den Oscar als bester fremdsprachiger Film gewann.

Er wurde Serienstar in legendären TV-Mehrteilern wie „Der große Bellheim“, „Der Schattenmann“ und „Die Affäre Semmeling“, und er spielte Päpste und Karl Marx.

Unvergessen sind seine wunderbaren Rollen in Kultfilmen von Helmut Dietl wie „Rossini – oder die mörderische Frage, wer mit wem schlief“ und „Kir Royal“, wo er als publicity-geiler Unternehmer Heinrich Haffenloher dem Klatschreporter Baby Schimmerlos androhte: „Isch scheiß disch so wat von zu mit meinem Jeld!“

Schuldgefühle nach seinem Durchbruch-Film

Doch ausgerechnet den Film, mit dem alles begann, bereut er. 1957 spielte er in „Nachts, wenn der Teufel kam“ eindringlich den vermeintlichen Frauenmörder Bruno Lüdke, der 1943 für 53 Morde und drei Mordversuche verantwortlich gemacht wurde. Adorf erhielt dafür den Bundesfilmpreis als bester Nachwuchsschauspieler. In den 90er-Jahren stellte sich heraus, dass Lüdke unschuldig war, NS-Polizisten hatten den geistig behinderten Mann aus ideologischen Gründen zum Mörder erklärt. Er starb 1944 in Haft, vermutlich bei „medizinischen Untersuchungen eines geborenen Verbrechers“.

„Ich habe mit meiner Rolle einem Mann das Bild eines Massenmörders verpasst, der keiner war“, sagte er der „Zeit“. „Ich habe als Schauspieler diesem Bruno Lüdke Unrecht getan… Ich habe einem Menschen, der wirklich gelebt hat, eine monströse Geschichte gegeben, die überhaupt nicht stimmt.“ Er habe Schuldgefühle gegenüber diesem Opfer und seinen Angehörigen.

Für deutliche Worte bekannt

Solche Sätze hört man selten von einem Schauspieler. Mario Adorf hingegen spricht gern Klartext. Er findet, dass in Deutschland bei der Ausländer-Debatte viele Fehler gemacht werden. Im Magazin „Cicero“ sagte er: „Es wird immer noch so getan, als ob die Zuwanderer sich völlig integrieren oder sogar assimilieren müssten, oder wieder raus mit ihnen!“ Die Menschen müssten nicht zwingend assimiliert werden, vielmehr müsse sich auch die deutsche Gesellschaft anpassen. Das sei in der Vergangenheit mit Italienern und Polen auch gelungen. Er findet „die Entwicklung der populistischen Parteien dramatisch. Das beunruhigt mich. Ich ging 2004 wegen Berlusconi aus Italien weg.“

„Dieses Warten auf etwas“

Dass er in seinem Alter und nach über 200 Rollen noch einmal vor die Kamera zurückkehrt, erwartet Adorf nicht. „Ich bin ohne jeden Ehrgeiz in dieser Richtung – und ohne jede Hoffnung“, sagte er im Interview mit „Hörzu“. Er müsse auch sehr genau überlegen, ob er es physisch überhaupt noch schaffe. „Es muss nicht sein.“ Er sei selbst überrascht, ein so hohes Alter erreicht zu haben. Gesundheitlich habe er dieses Jahr eine Erfahrung gemacht, die „schon sehr negativ“ war. „Es gab einen Punkt, an dem ich dachte: Das langt jetzt. Da hätte ich eigentlich gerne losgelassen.“ Dann spricht er anlässlich seines 95. Geburtstages vom Ende und nennt es „dieses Warten auf etwas“, das sei „nicht einfach. Nicht so einfach, wie ich es mir wünschen würde.“

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