Mutter-Tochter-Beziehung: „Ich habe mich immer zum Körper meiner Mutter ins Verhältnis gesetzt“

Ihr Hals schmerzt, das Herz poltert, ihr Körper rebelliert: In ihrem neuen Roman erzählt Daniela Dröscher von einer jungen Frau, die sich vom Schatten ihrer Mutter befreit.

Frau Dröscher, auf der ersten Seite Ihres aktuellen Romans „Junge Frau mit Katze“ zitieren Sie den Philosophen Roland Barthes, der sagt, ein Schriftsteller sei jemand, der mit dem Körper seiner Mutter spräche. Gilt das auch für Sie?
Ja. Dem Körper meiner Mutter wurde in meiner Familie eine große Rolle zugeschrieben. Er wurde problematisiert, pathologisiert, und ich habe mich früh gefragt: Werde ich einmal dick wie meine Mutter? Warum kann sie nicht abnehmen? Ich habe immer mit dem Körper meiner Mutter gesprochen, habe mich zu ihm ins Verhältnis gesetzt und mich nun Stück für Stück an ihn heran geschrieben.

Wie ist der Körper Ihrer Mutter beschaffen?
Was ich sehe und fühle, wenn ich an ihn denke, ist eine Umarmung. Ein Gefühl von Wärme und Geborgenheit und ein Geruch: So wie Mama riecht halt nur Mama. Und dann sehe ich ihre verzweifelten Versuche, sich schön zu machen. Viel zu reden, damit der Blick sich hebt und im Gesicht oder an den Lippen hängen bleibt. Die Vermeidung, das Sich-nicht-wohlfühlen, das sehe ich auch sofort.

Der Umgang mit dem eigenen Körper ist wie ein unfreiwillig vererbtes Silberbesteck.

In Ihrem Roman erzählen Sie von der jungen Frau Ela, die promoviert, während ihr Körper rebelliert: Sie leidet unter Herzrasen, Hautausschlag, Problemen mit der Schilddrüse und anderen Symptomen. Übernimmt sie das Körperthema ihrer Mutter?
Elas Körper rebelliert gegen das Frauenbild, mit dem sie aufgewachsen ist. Er rebelliert gegen ihre Arbeit an der Uni, an der sie sich fremd fühlt. Sie kann sich nicht artikulieren in ihren Sehnsüchten, sie kann sich nicht verständlich machen, sie steckt im falschen Leben. Und das trifft auch auf die Mutter zu. Der Umgang mit dem eigenen Körper ist wie ein unfreiwillig vererbtes Silberbesteck, schreibe ich an einer Stelle. 

Die Selbstwahrnehmung von Töchtern wird durch das Körperbild ihrer Mütter geprägt, wissen wir aus der Forschung.
Ja, Frauen sind Töchter, und uns alle eint, dass wir immer abgleichen und schauen: Wie ist die Mutter, wie bin ich? Für meine Figur Ela sind ihre Symptome Teil der Symbiose, in der sie mit ihrer Mutter lebt, obwohl sie versucht, sich von ihr abzugrenzen. 

In der Psychologie gibt es den Begriff „Bindung durch Sorge“, der beschreibt, dass sich eine Person durch ihr Fürsorgeverhalten an die andere bindet. Trifft der auf Mutter und Tochter zu?
Diese Mutter-Tochter-Beziehung ist auf jeden Fall von Schuld und Sorge gekennzeichnet. Das Buch ist auch der Versuch, mich zu fragen: Was bleibt von dieser Beziehung, wenn ich Sorge und Schuld der Mutter wegschiebe und sage: Die gehören nicht zu mir?

Warum sind es Schuld und Sorge, die diese Beziehung prägen?
Verantwortlich dafür ist der Vater, der auch als Figur in meinem Roman „Lügen über meine Mutter“ auftaucht. Er hat die Mutter wegen ihres Gewichts tyrannisiert, hat sie zu Diäten gezwungen und dafür gesorgt, dass Mutter und Tochter eine so enge Allianz eingehen mussten: Sie hatten das Gefühl, gegenseitig auf sich aufpassen zu müssen. Der Patriarch wurde schließlich verlassen, aber die Symbiose blieb.

Frauen müssen in jeder Generation wieder lernen, Subjekte zu werden.

Wie muss ein Frauenkörper aus patriarchaler Sicht beschaffen sein?
Er ist ein Objekt, und er muss funktionieren. Frauen müssen in jeder Generation wieder lernen, Subjekte zu werden. Sie müssen lernen, „Ich“ zu sagen, ihre Bedürfnisse wahrzunehmen und eine Sprache für sie zu finden. Beim Schreiben habe ich mir den Satz aufgeschrieben: „Nur wer leistet, wird geliebt.“ Ich kriege Gänsehaut, wenn ich das lese, weil ich das ein gruseliges Menschenbild finde. Der Leistungsgedanke sitzt Mutter und Tochter Ela in den Knochen. Und daran zerbrechen sie auch. 

Ela sucht viele Ärztinnen und Ärzte auf, um herauszufinden, was mit ihr passiert. Sind ihre Symptome real oder bildet sich Ela alles ein?
Es gibt zwei verschiedene Lesarten. Manche Leserinnen erkennen in Elas Problemen konkrete Krankheitssymptome, meist, weil sie selbst etwas Ähnliches erlebt haben. Andere Leserinnen verstehen die Symptome als etwas Metaphorisches. Oder Allegorisches. Für mich stimmt beides. Aber ich kann verraten: Keines der Symptome ist erfunden, ich kenne sie alle.

Sie sagten, Elas Körper rebelliert gegen die Uni. Sind die Symptome wie ein Sog, der sie ins Milieu ihrer Herkunft zurückzieht?
Ja. Ich stelle mir vor, dass ihr Körper wie ein Kompass funktioniert, der anzeigt: Du denkst nur, dass du promovieren möchtest, in Wahrheit brauchst du ein anderes Soziotop. Eine düstere Lesart wäre, dass sie vor ihrer Angst kapituliert. Angst ist immer laut, Intuition ist leise.

An einer Stelle in „Junge Frau mit Katze“ schreiben Sie: „Es ist, als hätte mein Schreiben einen Preis. Als müsste ich es – mit dem Körper bezahlen.“ Wie ist das zu verstehen?
Ich wollte früher Clown werden. Ich fand es toll, auf der Bühne zu stehen und Menschen zum Lachen zu bringen. Aber dann bin ich immer stiller geworden und habe mich buchstäblich hinter und in die Bücher verkrochen. Das Schreiben ist eine der unkörperlichsten Künste. Heute lesen die Menschen meine Texte, mein Körper ist abwesend.

Nun können wir auch später im Leben lernen, Glück zu empfinden, auch wenn es uns als Kind nicht vorgelebt wurde. Erleben Sie das als tröstlich?
Ja, das ist es, und mehr noch: Für meine Figur Ela ist es eine Revolution zu lernen, im Moment zu sein. Sorge und Schuld der Mutter wegzuschieben und zu sagen: Die gehören nicht zu mir. Achtsamkeit wird immer gerne in eine Selbstoptimierungs- und Selbstfindungsecke gestellt. Für Frauen sind das Überlebenstechniken.

Wie meinen Sie das?
Achtsam sein zu können, setzt voraus, dass man sich selbst wichtig genug findet. Ich werde nächstes Jahr 50, und es ist kein Zufall, dass ich erst jetzt über meine Erfahrungen als junge Frau schreiben konnte. Ich musste erst lernen, mir Aufmerksamkeit zu schenken. Mit 30 habe ich mein erstes Kind bekommen, steckte mitten in meiner Promotion und habe an meinem Debüt geschrieben. Damals ist so vieles gleichzeitig passiert, dass ich nun schreibend einiges weglassen musste: Es war zu viel für einen Roman.

Anders als Ihre Figur Ela haben Sie zwei Kinder bekommen, sie sind 15 und 18 Jahre alt. Hat das Muttersein Ihr Verhältnis zu Ihrem Körper verändert? 
Als Mutter fühlt es sich so an, als hätte ich nicht nur die Verantwortung für meinen Körper, sondern auch für die meiner Kinder. Ich wurde also zu einer halben Ärztin und habe gemerkt, dass das medizinische Wissen meiner Mutter viel größer ist. Ich glaube, die Gesellschaft sähe anders aus, wenn Menschen mehr über ihren Körper wüssten.

Hatten Sie Sorge, mit den Schwangerschaften zuzunehmen?
Wirklich zugenommen habe ich erst mit der zweiten Schwangerschaft, und ich glaube, das lag an meiner damals noch nicht diagnostizierten Schilddrüsenunterfunktion. Mein Stoffwechsel war langsamer, und ich war müde. Nicht denken zu können und immer erschöpft zu sein, fand ich bedrohlicher als die zusätzlichen Kilos. Es hat mein Selbstbild bedroht als intellektuelle, geistig rege Frau. Die Erschöpfung hat mich an meine Mutter erinnert: Sie litt unter Fibromyalgie, hat sich aber nie ausgeruht. 

„Wenn ich schreibe, wird mein Körper – leicht“, erzählen Sie im Buch. Ist das Schreiben für Sie der sicherste Ort?
Nicht der sicherste vielleicht, aber es ist ein sicherer, geliebter Ort. Schreibend betrete ich tatsächlich einen Raum, obwohl ich nur einen Computer vor mir habe. Es ist ein Ort, der mir einen Flow erlaubt, als könnte ich schweben.

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