Der Amoklauf in Graz zeigt: Trotz psychologischer Gutachten und gesetzlicher Hürden gelingt es Tätern immer wieder, mit legal erworbenen Waffen Amokläufe zu begehen.
In Graz hat ein 21-jähriger ehemaliger Gymnasiast zehn Menschen erschossen. Die Waffen – eine Lang- und eine Kurzwaffe – besaß der Täter nach Angaben der Behörden legal. Um die Waffenbesitzkarte zu erhalten, soll er Medienberichten zufolge sogar ein psychologisches Gutachten vorgelegt haben. „Ich kann Ihnen nur von mir selbst sagen, dass ich persönlich vom Besitz von Schusswaffen nichts halte – weder in der Vergangenheit noch heute“, sagt Elke Kahr (KPÖ), Bürgermeisterin von Graz.
In Deutschland ist die Vorlage eines psychologischen Gutachtens für Schützen verpflichtend, die erstmals eine Erlaubnis beantragen und mit großkalibrigen Waffen schießen wollen. Die Mehrheit der Schützen muss kein solches Gutachten vorlegen. Der Amoklauf in Österreich macht klar: Selbst ein Gutachten bietet im Zweifelsfall keinen Schutz. Der Grazer ist nicht der Erste, der einen Amoklauf in einer Bildungseinrichtung mit legaler Waffe verübt hat:
2023 erschoss ein 24-jähriger Student an der Prager Karls-Universität 13 Menschen. Zuvor hatte er seinen eigenen Vater, einen Spaziergänger und dessen Säugling im Kinderwagen getötet. Der Täter besaß acht Waffen legal.2021 tötete ein 19-jähriger Schulabbrecher im russischen Kasan an einer Schule mit einem halbautomatischen Gewehr sieben Schüler und zwei Lehrer. Auch er hatte die Waffe legal erworben und ein psychologisches Gutachten vorgelegt, das ihn als geeignet einstufte.2009 erschoss ein 17-jähriger Schüler in einer Realschule in Winnenden 15 Menschen – darunter neun Schüler und drei Lehrer. Die Tatwaffe, eine Pistole, war legal im Besitz seines Vaters, der Sportschütze war. Der Täter entwendete die Waffe aus dem elterlichen Schlafzimmer, wo sie im Schrank unter Pullovern lag. Auch der Täter selbst war Sportschütze.2002 erschoss ein 19-jähriger Sportschütze an seinem ehemaligen Gymnasium in Erfurt 16 Menschen – zwölf Lehrer, zwei Schüler, eine Sekretärin und einen Polizisten. Die Waffen – eine Pistole und eine Pumpgun – besaß er legal. Er war Mitglied eines Schützenvereins.
Amoklauf in Grundschule
Am 13. März 1996 verübte ein 43-jähriger Mann einen Amoklauf an der Grundschule im schottischen Dunblane. Der Amokläufer drang gegen 10.30 Uhr in die Turnhalle ein, wo Erstklässler Sportunterricht hatten. Er erschoss 16 Kinder und eine Lehrerin. Etwa zehn weitere Kinder wurden verletzt. Der Amoklauf von Dunblane führte dazu, dass in Großbritannien fast alle Handfeuerwaffen im Privatbesitz verboten und der Zugang zu Schusswaffen massiv erschwert wurden.In Vergessenheit geraten ist der Amoklauf von Eppstein (Hessen) im Jahr 1983. Am 3. Juni 1983 stürmte ein 34-jähriger Mann den Englischunterricht einer Schule. Mit zwei halbautomatischen Pistolen eröffnete er das Feuer auf den Lehrer, der schwer verletzt wurde. Danach schoss er auf die Schüler. Drei Kinder starben, 13 weitere wurden verletzt, vier davon schwer. Der herbeigeeilte Rektor und ein Polizist, der unbewaffnet eingreifen wollte, wurden ebenfalls erschossen. Insgesamt kamen fünf Menschen ums Leben. 14 wurden verletzt. Die Tat gilt als einer der schwersten Amokläufe an einer deutschen Schule nach 1945. Der Täter besaß seine Waffen als Wachmann und Sportschütze legal.
BKA zählt die Toten legaler Waffen nicht
Wie viele Menschen durch legale Schusswaffen in Deutschland getötet werden, wird nicht erfasst. Das Bundeskriminalamt zählt in Deutschland jeden Taschendiebstahl (107.720 im Jahr 2024). Aber das Bundesinnenministerium, für das das BKA die Kriminalität akribisch erfasst, will nicht wissen, wie viele Menschen durch legale Waffen zu Tode kommen. Das überlässt das Ministerium der Bürgerinitiative „Keine Mordwaffen als Sportwaffen!“. Sie wurde 2009 von dem Journalisten und Buchautor Roman Grafe nach dem Amoklauf von Winnenden gegründet.
Grafe zählt seit 1990 über 300 Menschen, die in Deutschland mit Waffen von Sportschützen getötet wurden. In seine Liste nimmt er nur Fälle auf, bei denen Polizei oder Staatsanwaltschaft die Tat bestätigt haben. Zum Vergleich: Die Rote Armee Fraktion (RAF) ermordete 34 Menschen. Grafe bezeichnet das deutsche Waffenrecht als „kriminell lasch“ und fordert gemeinsam mit seiner Initiative, die unter anderem vom Fernsehmoderator Oliver Welke unterstützt wird, ein Verbot potenziell tödlicher Waffen im Schießsport – unabhängig vom Kaliber. Grafe: „Das Entsetzen ist immer groß. Und kurz. So war es auch nach den letzten Legalwaffen-Massakern in Österreich: in Linz 1995 (fünf Tote), Mauterndorf 1997 (sechs Tote), 1999 Straßwalchen (vier Tote), 2016 Schildberg (fünf Tote), 2019 Kitzbühel (fünf Tote). Und so wird es absehbar auch diesmal sein.“