Trägt der Energiekonzern eine Mitschuld, wenn das Haus eines Bergbauern in Peru durch einen Gletschersee bedroht wird? Richter in Hamm setzen das Verfahren jetzt fort. Der Kläger kommt auch selbst.
Die Zivilklage eines Landwirts und Bergführers aus Peru gegen den Energiekonzern RWE beschäftigt in der kommenden Woche erneut das Oberlandesgericht Hamm. Am Montag und Mittwoch geht es in mündlichen Verhandlungen um gerichtlich beauftragte Gutachten eines Geowissenschaftlers aus Darmstadt und eines österreichischen Lawinenschutzexperten. Welche Schlüsse das Gericht aus den Verhandlungen zieht, wird es voraussichtlich erst an einem anderen Tag mitteilen.
Der Kläger Saúl Luciano Lliuya (44) ist Miteigentümer eines Wohnhauses in der Stadt Huaraz in Peru. Die Stadt liegt am Fuße der Anden unterhalb eines Gletschersees namens Palcacocha. Durch die bereits 2015 erhobene sogenannte Klimaklage will Lliuya feststellen lassen, dass sich die RWE AG wegen der von ihr verursachten Treibhausgasemissionen anteilig an den Kosten von Schutzmaßnahmen für das Hausgrundstück oder unmittelbar am Gletschersee beteiligen müsse, um es gegen eine Flutwelle oder Schlammlawine zu sichern. Diese drohe dem Haus infolge des Abschmelzens des Gletschers.
Lliuya verlangt von RWE, 0,47 Prozent der Kosten für Schutzmaßnahmen zu übernehmen, weil das Unternehmen nach seiner Schätzung zu 0,47 Prozent zu den Treibhausgasemissionen beitrage. Unterstützt wird der Bergführer von der Stiftung Zukunftsfähigkeit und der Umweltorganisation Germanwatch.
Landgericht Essen wies Klage in erster Instanz ab
Das Landgericht Essen hatte die 2015 eingereichte Klage abgewiesen. Die vom Kläger behauptete Flutgefahr könne dem Unternehmen angesichts der Vielzahl an Emittenten von Treibhausgasen weltweit nicht – auch nicht anteilig – individuell zugeordnet werden, hatte das Gericht argumentiert. In der Berufung hielt das OLG Hamm jedoch einen Anspruch des Klägers gegen RWE grundsätzlich für möglich, sofern der Kläger die von ihm behaupteten Tatsachen beweisen könne.
In den Gutachten geht es jetzt zunächst um die Gefahren für das Haus des Klägers durch eine Flutwelle oder Schlammlawine. Um sich ein Bild vor Ort zu machen, waren im Mai 2022 eine Richterin und ein Richter aus Hamm, die Gutachter mit ihren Teams und weitere Experten der Streitparteien nach Peru gereist. Die Gutachter hatten dort Messungen vorgenommen, Bodenproben entnommen und Drohnenaufnahmen gemacht. Um die daraufhin erstellten Gutachten geht es jetzt in Hamm.
Weiteres Gutachten möglich
Mit der Frage der behaupteten Mitverantwortung von RWE am weltweiten Temperaturanstieg will sich das Gericht nur dann beschäftigten, wenn es aufgrund der beiden Gutachten von einem „rechtlich relevanten Risiko“ für das Haus des Klägers ausgeht. Dazu soll dann eine weitere Begutachtung erfolgen, hatte das Gericht 2022 mitgeteilt.
Lliuya will Montag und Mittwoch selbst nach Hamm kommen. „Ich hoffe, das Gericht wird das Flutrisiko und die Auswirkungen des Klimawandels auf meine Familie anerkennen und dann den nächsten Schritt einleiten, um die Verantwortung von RWE im Detail zu klären“, erklärte er im Vorfeld laut einer Mitteilung von Germanwatch. Seine Anwältin Roda Verheyen erklärte: „Die Wissenschaft ist eindeutig: Saúl Luciano Lliuya und tausende weitere Menschen in seiner Heimatstadt Huaraz sind von einem akuten Flutrisiko betroffen, das sich im Zuge der Klimakrise immer weiter erhöht.“ Es brauche dringend Schutzmaßnahmen in Huaraz, damit die Gletscher- und Permafrostschmelze nicht zu Schäden bei ihrem Mandanten führe.
RWE hält Klage für „rechtlich unzulässig“
RWE hält die Klage für unbegründet: „Mit dieser Klage soll ein Präzedenzfall geschaffen werden, wonach jeder einzelne Emittent von Treibhausgasen in Deutschland für die Auswirkungen des Klimawandels weltweit rechtlich verantwortlich gemacht werden könnte, selbst wenn er sich stets an die geltenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften gehalten hat“, teilte der Energiekonzern im Vorfeld auf Anfrage mit. Falls ein solcher Anspruch nach deutschem Recht bestehen würde, könnte auch jeder Autofahrer haftbar gemacht werden. „Wir halten dies für rechtlich unzulässig und auch gesellschaftspolitisch für den falschen Weg“, erklärte ein Sprecher. Lösungen für das Klimawandel-Problem sollten auf staatlicher und zwischenstaatlicher Ebene entwickelt werden, nicht rückwirkend durch Gerichte.