Wagner-Festspiele: Bayreuther „Meistersinger“ lassen die Kuh fliegen

Die letzten Bayreuther „Meistersinger“ inszenierte Barrie Kosky hochpolitisch. Acht Jahre später feiert der Grüne Hügel das krasse Gegenteil. Da fliegt die Kuh.

Bravo-Rufe, Applaus, begeistertes Getrampel: Die neuen „Meistersinger von Nürnberg“ haben das Bayreuther Publikum in selten einhellige Verzückung versetzt. Die Neuinszenierung von Regisseur Matthias Davids wurde bei ihrer Premiere gefeiert. Buh-Rufe waren kaum zu hören – das ist selten bei den Bayreuther Festspielen

Davids ist Leiter der Musical-Sparte am Landestheater Linz und gilt als erklärter Experte für die als gemeinhin leichter verdaulich geltende Sparte des Musiktheaters. Auch seine „Meistersinger“ haben viel musicalhaftes: vor allem choreografierte Massenszenen, die dem neuen Bayreuther Chor auch darstellerisch einiges abverlangen.

Davids will zurück „zum komödiantischen Inhalt des Stücks“ 

Ganz anders als Barrie Kosky, der die „Meistersinger“ zuletzt in Bayreuth berührend und hochpolitisch inszenierte und sich an Wagners Antisemitismus‘ abarbeitete, der sich in der Oper vor allem an der Figur des Beckmesser zeigt, macht Davids sich diese Mühe nicht. Er verzichtet bewusst auf eine tiefergehende oder gar politische Interpretation der Geschichte. 

„Jetzt sehe ich den Zeitpunkt gekommen, zum komödiantischen Inhalt des Stücks zurückzukehren“, hatte er der Deutschen Presse-Agentur vor der Premiere gesagt. „Es ist ja immer die Frage: Wie viel Konzept stülpt man einem Werk über, und verschüttet man damit die Story? Die Geschichte ist ja auch so schon kompliziert genug.“

Davids‘ Inszenierung verlegt sich mit einem beeindruckenden Bühnenbild also auf die Optik – und ansonsten auf Oberflächlichkeiten, auf Klamauk, der verlässlich Lacher provoziert und zuverlässig unterhält. Wenn in der berühmten, chaotischen Chor-Prügelszene zum Ende des zweiten Aufzugs ein Boxring eingezogen wird, erklingt – wie von Davids gewünscht – Lachen im altehrwürdigen Festspielhaus. 

Ebenso, wenn Beckmesser mit Sonnenbrille und Glitzer-Shirt einen verhinderten Glam-Rocker gibt. Kurzweilig ist das, was da auf der Bühne passiert, zumindest streckenweise, wie viele Zuschauer in der Pause treffend bemerken. Aber mehr eben auch nicht. Und das Konzept der ganz, ganz leichten Muse trägt auch nicht über alle wagnerischen Längen hinweg.

Bezeichnend für die Inszenierung ist eine dieser guten, alten, gelben Telefonzellen, aus der ein arg geprügelter Beckmesser am Schluss des Aufzugs taumelt. Darauf steht noch die Nummer der – 2024 abgeschalteten – Auskunft: 11833. Die 90er Jahre haben angerufen.

Auch die Festwiese am Schluss könnte die Kulisse für eine 90er-Party sein. Schrill, bunt, fröhlich und mit speziell verkleideten Zuschauergruppen – darunter Gartenzwerge, eine Kartoffelkönigin und gleich zwei Doubles von Altkanzlerin und Festspiel-Stammgast Angela Merkel (CDU) – erinnert die Szene an den Eurovision Song Contest (ESC). Über allem schwebt eine riesige, bunte Plastikkuh. 

Das Rezept der Inszenierung zusammengefasst: Ein bisschen Nostalgie gepaart mit einem ganz großen Schuss Eskapismus. Einfach nicht hinschauen auf den Wahnsinn der Welt, auf die Gefahren für die Demokratie, auf zunehmenden Antisemitismus, Rassismus. Einfach mal Spaß haben. Das ist die Botschaft, die im Jahr 2025 rausgeht vom bekanntesten Opernfestival Deutschlands mit seiner dunklen Geschichte. 

Das Bayreuther Publikum stört sich an diesem überaus seichten Ansatz nicht – im Gegenteil. Es dankt Davids seine Entscheidung weitgehend einhellig. Gefeiert wird Publikumsliebling Georg Zeppenfeld als Hans Sachs, der eine solide Leistung abliefert, aber schon stärkere Tage gehabt hat auf der Bayreuther Bühne. Ähnlich viel Applaus gibt es auch für Michael Spyres und seine hervorragende Leistung als Walther von Stolzing, Christina Nilsson für ihre ähnlich herausragende Eva und Dirigent Daniele Gatti, der bei seiner Bayreuth-Rückkehr den speziellen Orchestergraben völlig im Griff hat. 

Erster Auftritt für neuen Chor

Jubel gibt es auch für den neuen Chorleiter Thomas Eitler-de Lint, der einen völlig anderen Chor leitet als sein Vorgänger Eberhard Friedrich jahrzehntelang. Weil die Festspiele sparen müssen, wurde die Zahl der festen Mitglieder des Chores deutlich reduziert – bei Bedarf wird er durch einen „Sonderchor“ ergänzt. 

Nach diesem überraschend harm- und belanglosen Start in die Festspiele 2025 geht es kompliziert weiter: mit Valentin Schwarz‘ umstrittenem „Ring“, der in diesem Jahr zum letzten Mal auf dem Grünen Hügel zu sehen sein wird.

Bayreuther Festspiele

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